So kommt man auf den Hund
Als ich nach vielen Umzügen und Wohnorten immer in der Stadt endlich mal Vorbereitungen für einen Umzug aufs Land traf, kam schnell der Gedanke auf, einen Hund aufzunehmen. Bis dahin hatte ich um Tierheime immer einen großen Bogen gemacht. Das Elend konnte ich nicht sehen!
Aber dieses Mal: Wenigstens mal schauen, aber kein Tier mitnehmen. Das wollte wohl überlegt und vorbereitet sein.
An einem Samstag im Juni passte das Wetter, um wenigsten einen Heimbesuch zu machen. Wer schon mal mit offenen Augen in einem der unzähligen Tierheime war und die armen Viecher sehen musste, kann das bestimmt nachvollziehen. Am liebsten hätte ich alle mitgenommen, aber …
Im letzten Zwinger in der hintersten Ecke saß ein großer Hovawart, schon älter und nach dem Schild am Zwinger absolut unverträglich mit allem und jedem. Er konnte nichts und niemanden leiden, keine Kinder, keine Männer, keine Frauen, Briefträger sowieso nicht, noch nicht mal sich selber. Er gab keinen Laut von sich, keine Regung, er stand nur da und schaute mich an. Dennoch, irgendwie hat es zwischen uns gefunkt, die noch nicht ganz erkannte Liebe auf den ersten Blick.
Aber so ein gefährlicher unverträglicher Hund, auch lange vor den von ungeheurem Sachverstand geprägten Hundeverordnungen. Immerhin findet jeder Staat andere Hunde höchst gefährlich und verdammenswert, innerhalb Deutschlands kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen, hat andere Kriterien und andere Rassen in der Einstufung als reißende Bestien. Der wissenschaftliche Sachverstand, von wem auch immer, der da dahinter steckt, ist außerordentlich beeindruckend. Landläufig würde der eine oder andere vielleicht eher von Hysterie und wüstem Populismus sprechen.
Aber zurück zum Thema: Da saß also ein höchst gemeingefährlicher schwarzer Hund im Käfig und zeigte keine Regung, hatte sich nach über einem halben Jahr vielleicht auch schon mit seinem Los abgefunden. Und ich ließ mich abschrecken. Mag weder Männer, Frauen, Kinder, Katzen, Hunde, Autos, Näpfe, noch sich selber ….
Später Nachmittag, wieder zuhause, noch in der Wohnung, draußen schien die Sonne, ein Gedanke: „Hätte ich jetzt den Hund, wir könnten rausfahren und spazieren gehen!“ Könnte ich natürlich auch ohne Hund, aber da wäre es langweilig.
Heute war es schon zu spät, aber morgen fahre ich hin und hole ihn.
Am nächsten Vormittag, eine Stunde Anfahrt, im Tierheim. Der Pfleger: „Haben sie sich das wirklich gut, überlegt? Der ist so gefährlich, keine Männer, blablabla.“ Ergebnis: Ich war am Grübeln! Ob das wirklich so eine gute Idee sein würde. Vielleicht doch noch mal drüber nachdenken.
Nachmittags zuhause, die Sonne schien, man könnte spazieren gehen – so eine Schei…. Ich will den Hund. Wütend auf mich selber, dass ich mich habe abwimmeln lassen, finster entschlossen, morgen ohne wenn und aber. Für den nun folgenden Montag hatte ich dringende Außerhaustermine und stand um elf Uhr vor dem Tierheim. Heute Ruhetag, geschlossen! Alles wütende Rappeln am Tor brachte nichts, kein Pförtner, kein Pfleger, den ich würgen und Einlass fordern könnte. Dienstagmorgen, der nächste dringende Außerhaustermin, die Kollegen würden dicht halten. „Ich will den Hovawart da hinten!“
„Haben sie sich das gut überlegt, ….“
Inzwischen war ich ungehalten und bestand darauf, genau diesen völlig unsozialisierten Hund bei mir aufzunehmen. Bei dem Hinweis: „Aus dem Zwinger müssen sie ihn aber selber holen!“ kam ich nochmals kurz ins Grübeln, aber jetzt war ich zum vierten Mal hier und ich wollte diesen Hund, wir hatten uns gesehen. Mangels Equipment musste ich hier im Tierheim Halsband und Leine käuflich erwerben und sollte erst noch versuchen, eine Runde spazieren zu gehen. Also Halsband und Leine in der Hand, in den Zwinger, der Hund steht wie eine Eins, lässt sich das Halsband anlegen und läuft ohne zu ziehen, absolut einwandfrei an der Leine durchs Heim und das umliegende Stadtviertel.
Um eins vorwegzunehmen: Das war das einzige Mal in all unseren folgenden gemeinsamen Jahren, an denen er ordentlich an der Leine ging.
Jedenfalls absolvierten wir zur beiderseitigen Zufriedenheit unsere Runde, ganz zum Schluss, kurz vor Rückkehr, kam ich auf die Idee, zu probieren, ob er überhaupt ins Auto steigt. Die Vorstellung: Ich habe diesen Riesenhund, stehe mit ihm an der Leine in der Großstadt und der fährt nicht Auto. Ums kurz zu machen: Am Auto/Kombi Klappe auf, Hund rein, bis an die Rückbank und keinerlei Bereitschaft mehr, hier noch mal auszusteigen. Endlich hatte er jemanden gefunden, der ihn aus seinem Loch holt, das würde er keinesfalls aufs Spiel setzen.
Ich mit der Leine ohne Hund – ein entsetztes Aufstöhnen durch das ganze Heim: Der Hund ist weg, hier in der Stadt. Ich konnte die geballte Panik dämpfen, Hund im Auto, weigert sich, noch mal auszusteigen. Da es noch D-Mark-Zeiten waren, durfte ich 150 Mark für den Hund hinblättern, Schutzgebühr nannte man das, dann noch 30 Mark für Halsband und Leine, 25 Mark für ein paar Näpfe und nochmal irgendwas für die Erstausstattung Fressereien. Man sieht, ich war sehr gut vorbereitet.
Noch ein paar Dinge am Rande: wir waren die besten Freunde, er ein begeisterter Autofahrer, Leine hatte ich schon erwähnt, den Zwinger, den ich dann sinnvollerweise als Hundeheim gekauft hatte, habe ich nach etlichen Jahren, unmontiert und ungenutzt, an einen Nachbarn verkauft.
Nun müsste ich mir noch überlegen, ob er sich nur mir zu Gefallen so anständig benommen hat, dass ich ihn in alle Restaurants und Hotels, auf alle Ausflüge problemlos mitnehmen konnte oder ob hier im Vorfeld die Fama mal wieder zugeschlagen hat.