Wegelagerei „Am Alten Strom“
In den vergangenen Jahren ist der „Alte Strom“ in Warnemünde zu neuem Leben erweckt worden. Während auf der linken Seite hauptsächlich Ausflugsschiffe vertäut sind, weiter stromab liegt der Seenotrettungskreuzer „ARKONA“ in ständiger Bereitschaft, ist das rechte, dem touristischen Rummel gegenüberliegende Kai überwiegend den Fischern mit ihren Booten
vorbehalten. Am Wochenende findet hier auch ein Fischmarkt statt, Ostseefisch in jeder Form, frisch vom Fang oder geräuchert. Es ist lohnenswert, hier zu flanieren. Einfach nur das bunte Treiben zu beobachten, oder um selbst zu kaufen.
Wochentags gibt es an mehreren Verkaufsbooten, die direkt an der Promenade „Am Strom“ vertäut sind, Fisch und -imbiss in jeglicher Form. Hauptsächlich aber natürlich die obligatorischen Krabben- und Matjesbrötchen. Wir haben gut gefrühstückt, auch Chico hat sich eine halbe Dose einverleibt, für seine
Verhältnisse viel, und so beschließen wir, als Erstes bis zum Leuchtturm zu spazieren. Unsere Ferienwohnung liegt direkt „Am Strom“, eine der wenigen Bleiben in Warnemünde, in der Hunde willkommen sind. Die meisten Hotels lehnen Hunde leider rigoros ab, auch mit Ferienwohnungen ist dies oft ein Problem.
Schon nach wenigen Metern locken die ersten Auslagen, verführerische Gerüche liegen in der Luft, die kleine Nase reckt sich und plötzlich hat der Zwerg es gar nicht mehr so eilig, an den Strand zu kommen. Da wir aber, wie angedeutet, gerade erst gefrühstückt haben, wäre es völlig widersinnig, jetzt schon wieder Geld für Essen auszugeben. Erst mal Bewegung und dann sehen wir weiter. Mannhaft widerstehen wir den Verlockungen, auf der Mole angekommen sind wir einstimmig der Meinung, dass dies jetzt reichlich Bewegung war und nun erst eine Stärkung erforderlich ist. Flugs umgekehrt, der Chicer gleich weit voraus, seine Nase sagt ihm eindeutig, wo es den leckersten Imbiss gibt. Bei solchen Aktionen kann man sich wirklich jederzeit auf ihn verlassen. Auf halber Strecke sitzt er dann auch erwartungsvoll und gleichzeitig mit vorwurfsvollen Blick „wie kann man nur so rumtrödeln!“ am Steg und wartet. Mit Matjes hat er es nicht so, aber mit Krabben verbindet uns der gleiche Geschmack. Ein Krabbenbrötchen für mich und etliche Krabben fallen schon ab für den Zwerg. Zwei Euro pro Brötchen, ein ganz akzeptabler Preis! Rund um den Steg sind Sonnenschirme aufgestellt, das Angebot des Verkäufers, doch hier die Brötchen zu verspeisen, lehnen wir dankend ab. Die Masche ist zu durchsichtig: Hier stehen bleiben, Brötchen vernichten und dann mit Hunger gleich noch mal welche kaufen.
Nichts war zu hören gewesen und doch sind sie plötzlich da. Auf jedem Pfosten, jedem Zaun – Möwen in allen Größen. Beinahe unbeweglich sitzen sie da, regungslos der kalte Blick, mit dem sie uns mustern. Unwillkürlich muss ich an Hitchcock denken. Sein Film „Die Vögel“, ein Klassiker unter den Horrorschockern. sie da. Chico sind sie egal, der Kleine hat das besonders mutige Herz eines Löwen, ich starre ebenso eiskalt zurück: „Vergesst es, wir geben nichts!“
Davon unbeeindruckt loten sie weiterhin ihre Chancen aus, an ein paar Reste, die zu Boden fallen, zu kommen. Okay, was runter fällt, können sie meinetwegen haben, mehr aber auch nicht. Wenn sie nichts bekommen, werden sie sich wohl bald davon machen oder auf jemand anderes warten. Wir wenden uns ab und gehen unserer Wege.
Ein Rauschen von hinten, ein Schlag auf die Schulter, ein Schatten, schmerzhaftes Zwicken und Hacken in den Fingern und in großem Bogen fliegen Brötchen und Belag durch die Luft, verschwinden in einem wilden Pulk schreienden und kreischenden Gefieders, in dem sich die geballte Horde der fliegenden Wegelagerer um die Beute balgt.
Sekunden später ist alles vorbei, sie sitzen wieder auf den vorgeplanten Abflugpunkten und warten auf die nächste Beute, mit kaltem Blick jeden taxierenden, der des Weges kommt.
Der Verkäufer wickelt inzwischen die nächsten Brötchen in die Servietten, reicht es breitem Feixen rüber: „Zwei Euro!“
Offensichtlich sorgen diese Wegelagerer für gute Geschäfte, wenn sie nur jedem zweiten die Beute abjagen, da dürfte ganz schön was zusammen kommen. Zur Vermeidung weiterer Ausgaben bleiben wir dieses Mal vorsichtshalber unter den aufgestellten Schirmen stehen, was uns einige böse Blicke von den umliegenden Zäunen einbringt. Chicos Bürzel ist im Moment auch auf Halbmast, so richtig weiß er noch nicht, wie er mit dieser Situation umgehen soll.
Inzwischen gehen die Köpfe in eine andere Richtung, ein paar kommt zielstrebig näher, betrachten die Auslage. Offensichtlich sind sie als neue Opfer interessanter als wir mit unseren bereits gemachten Erfahrungen. Großzügig bieten wir unsere Plätze unter den Schirmen an – kein Interesse! Auch gut!
Wir machen uns auf den Weg und sind noch nicht weit gekommen, als hinter uns das jetzt bereits bekannte Rauschen ertönt, gemischt von erschreckten Rufen. Es ist tröstend, nicht alleiniges Opfer zu sein.